Mittwoch, 26. Oktober 2011

Wider künstlicher Naturgesetze

Quelle: Amazon.de
Er ist seit vierzig Jahren Mitglied der parteilich organisierten Sozialdemokratie. Manchmal leidet er darunter, wie er selbst schreibt. In den letzten Jahren ganz besonders. In seiner Autobiographie, die er mit dem poetischen Titel "Als wir noch Götter waren im Mai" schmückte, erzählt Johano Strasser davon, wie einst in der SPD und in Deutschland das Willy-Fieber ausbrach, wie man von einer besseren, liberaleren Gesellschaft, von mehr gewagter Demokratie träumte - und er endet schließlich bei der heutigen Partei, bei dem, was sie heute tut, da sie sich dem Milieu derer zugeschlagen hat, die den Menschen als plumpen Nutzenmaximierer oder als Humankapital veranschlagen und demgemäß ihre Politik ausrichten. Hoffnung bleibt, liest man bei Strasser immer wieder - so auch in Fragen der Partei, in die er als junger Mann eintrat.
Der brennende Kampf, den unsere Zeit unbedingt nötig hat, meint Strasser, wäre es gegen jene Tendenzen des freien Marktes anzugehen, die den Menschen zu dessen Spielzeug macht. Der Freimarkt ist zwar per se nicht schlecht - dass er aber keiner Kontrolle unterliegt, geradezu religiös zelebriert wird, das macht den Menschen zum Spielball der "unsichtbaren Hand". Dahinter steckt eine Ideologie, die meint, der Mensch sei der Wirtschaft Lakai, sei für sie komplett ökonomisch verwertbar. Überhaupt meinen die Ideologen eine biologische Wahrheit darin zu sehen: denn der Mensch sei seit jeher ein Wesen, welches rein nach Nutzen agiert - der Mensch hätte also stets reine Nutzenaspekte im Auge gehabt, weshalb eine Wirtschaftsform, die auf Nutzen und überdies auf Ausnutzung baut, eine völlig natürliche Erscheinung ist. Kurzum: der Egoismus ist Naturgesetz. Dem widerspricht, dass der Mensch Selbstlosigkeit kennt, Geselligkeit und schöne Künste, die ja nichts Pekuniäres einbringen - und dem widerspricht auch nachdrücklich Johano Strasser, der sich damit nicht abfinden mag. Für ihn, als Vertreter eines linken Humanismus, ist dieses gnadenlose Naturgesetz eine künstlich erzeugte, pseudo-wissenschaftlich verbrämte Legitimität, die den status quo erhalten soll.

Gleichwohl bleibt Strasser Mitglied seiner Partei, obwohl die mittlerweile dasselbe Naturgesetz für verifiziert erachtet. Man fragt sich immer wieder, weshalb Menschen, die in der SPD unzufrieden sind, nicht einfach das Parteibüchlein einäschern. Strasser gibt als Antwort, dass das Ringen verschiedener Meinungen innerhalb einer Partei, maßgeblich für Demokratie sei. Denn das, was Parteien heute praktizieren, und zwar nach Außen hin als gleichgeschalteter Meinungsapparat aufzutreten, hält er für undemokratisch und war damals, als man zu Zeiten der Willyritis in der SPD politisierte, auch nicht Usus. Solange noch um Ansichten gerungen wird in der SPD, solange gibt es die Hoffnung, dass sie erneut zurückkehrt zum linken Humanismus, glaubt Strasser. Und wer, wenn nicht Leute wie er, sollen die Stellung halten in der Partei? Tritt er aus, so ist sie schutz- und widerstandslos denen überlassen, die ihre Totengräber sind.

Von seinem Leben, seinem politischen Handeln und seinem parteiinternen Kampf gibt Strasser mit seinen autobiographischen Zeilen beredt Zeugnis - ein politischer Zeitgenosse, der obendrauf lesbar ist.

"Als wir noch Götter waren im Mai" von Johano Strasser erschien im Pendo Verlag.


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