Mittwoch, 5. Oktober 2011

Essen und Sein

Quelle: Amazon.de
Ein sadistisches Buch. Für Fleischfreunde: ein sadistisches Buch! Es vergällt einem den Hunger. Ebenfalls ein masochistisches. Es knüppelt das Gewissen. Informativ ist es obendrauf - nicht nur für Karnisten natürlich. Jonathan Safran Foer lieferte mit "Tiere Essen" Seiten ab, die tief ins Gemüt von Fleischessern graben. Er tut das nicht moralingesäuert, nicht oberlehrerhaft. Sein Ton ist getragen, fast erschütternd zurückhaltend. Niemand soll zur Fleischlosigkeit belehrt werden, meint Foer. Raffiniert ist das von ihm schon, sich dergestalt aus der Rolle des Moralisten stehlen zu wollen. Niemand soll fleischlos werden - aber der, der es liest, der wird. Vielleicht nicht vollumfänglich, Vegetarierer muß er deshalb nicht gleich werden. Fleischkonsum ist zu sehr anerzogen, als dass man ihn mit dem Lesen eines Buches ablegen könnte. Aber man denkt nach, wenn man kaut - und wenn es der Geldbeutel hergibt, dann kauft man so, dass man mit etwas besserem Gewissen kauen kann.

Mit etwas besserem Gewissen wohlgemerkt. Mit gutem Gewissen nie. Das lehrt uns der Autor auch: Lebensmittel, wie sie in den Industrieländern produziert werden, auch wenn man aus biologischem Anbau konsumiert, sind immer ethisch bedenklich. Mal mehr, mal weniger. Unerträglich ist die Massentierhaltung und -schlachtung, wie sie der Autor beschreibt, wie er sie selbst besucht hat. Er berichtet von Bluträuschen der Angestellten, die selbst noch lebenden Rindern die Haut vom Fleisch ziehen, wie sie sie noch lebend - manche überstehen die Tortur des Hautabziehens! - in Hälften reißen. Möglich, dass man so handelt, wenn man täglich durch Blut watet und Lebewesen nur noch als Produkt sieht - auch die Angestellten solcher Vernichtungsfabriken sind irgendwie Opfer. Scheiße ist auch ein Thema bei Foer. Wohin mit ihr? Die Massentierhaltung fabriziert Berge davon. Die Hallen, wo das noch lebende Fleisch lagert, kann man ohne Lüftung nicht betreten - man würde ersticken. Und das tut auch der Planet früher oder später. Er könnte in Gebirgen dampfender Scheiße ersticken, wenn er keine Lösung findet. Von den medizinischen Wirkstoffen in der Scheiße, wollen wir mal gar nicht reden. Ein Löffelchen Viehkacke oder ein Becherchen Antibiotikum: macht das noch einen großen Unterschied?

Foer liefert kein vergeistigtes Buch ab. Er ist kein Poet, der die Erfahrungen des Vernichtungsschlundes blumig beschreibt, wie einst Semprún oder neuerdings Müller im Bezug auf die menschliche Kreatur. "Tiere Essen" ist auch kein Manifest gegen den Wahnsinn, den wir auf dem Teller liegen haben. Es ist ein Bericht - es sind mehrere Berichte, die sich ergänzen und die aufeinander aufbauen. Vom Philosophen Ludwig Feuerbach ist uns das famose Bonmot übermittelt, wonach man ist, was man isst - das meinte er damals durchaus klassenkämpferisch. Die spärliche Kost des sich formierenden Arbeiterstandes machte deutlich, was man ist, was man gilt in der Gesellschaft. Das hat sich nur wenig geändert: Discounter-Fleisch mit ethischen Verunreinigungen für die Masse; gestreichelte Rindersteaks für Gutbetuchte - jedenfalls könnten die sich so ein Fleisch leisten, wenn sie wollten. Denkbar ist aber, dass man Feuerbachs Zitat metaphysischer liest: Wenn man eine Lebensmittelerzeugung stillschweigend duldet, die die Natur, das was uns umgibt - religiöse Menschen würden sagen: die Schöpfung -, schröpft und gnadenlos ausbeutet, mit Lebewesen umgeht wie mit toter Materie... wenn man dergleichen ethische Notstände toleriert, sind wir dann nicht auch ein ethischer Notstand als Gesellschaft. Ist man wirklich, was man isst, so könnte man ohne Anspruch auf Richtigkeit ableiten, dass die Gesellschaft repressiv wird, wie die Lebensmittel, die wir repressiv wider die Natur herstellen.

"Tiere Essen" von Jonathan Safran Foer erschien bei Kiepenheuer & Witsch.



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