Freitag, 11. März 2011

Vom Sklaven zum Volkstribun

Bildquelle: Amazon.de
"Eine Übung in Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte" nennt der Autor sein Kind selbst. Das trifft nur halbwegs zu, denn das 2008 erschienene Buch "The Triumph of Music" ist mehr als Übung, gleichwohl es zwischen Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte umherhangelt. Es gelingt Tim Blanning, Professor in Cambridge, erstaunlich spielerisch, die Geschichte der abendländischen Musik zu skizzieren, sie in den Kontext und die Wechselwirkungen ihrer Zeit zu ordnen. Und was lobend hervorgehoben werden muß: man muß kein Musikus sein, um die geschichtliche Aufarbeitung der Musik zu begreifen. Man vernimmt die historisch-musikalischen Töne des Historikers auch ohne Noten lesen zu können. Virtuos wirft er mit politischen Fakten, Musikerbiographien und kunsthistorischen Einblicken um sich, vereint sie dergestalt, dass sie wie aus einem Guss lesbar werden. Wo andere Abhandlungen zur Geschichte der Musik im Soziolekt Musizierender verenden und außerdem an schreiberischer Unzulänglichkeit leiden, wo andernbuchs Langeweile und Unverständlichkeit zum Marsch blasen, da trumpft Blannings "Triumph der Musik" mit Verständlichkeit und Unterhaltsamkeit auf.

Dass die Musik den heutigen Stellenwert einnehmen konnte, so definiert es jedenfalls der Autor, läge an fünf Faktoren, die zugleich die fünf Kapitel seines Buches sind: der Status, der Sinn und der Zweck, die Orte und die Räume, die Technik und die Emanzipation machen den Musiker von heute zum am meisten beachteten Künstler überhaupt - einst begann er als Sklave und Lakai, war derjenige, der Instrumente betätigte oder seine Stimme anbot und wurde als Künstler nicht wahrgenommen. Erst die romantische Revolution schuf den Genius des Künstlers auch in der Musik. Die Musik wurde über die Jahrhunderte ihres Sinns enthoben, sie musste nicht mehr zur hohen Ehre eines Souveräns geschrieben und gespielt werden. Große Theater wurden somit auch für die Massen besuchbar und waren nicht mehr nur Spielwiese feiner Damen und Herren. Den größten Sieg ereilte den Triumphzug der Musik, als die technischen Mittel geschaffen wurden, um Musik aufzuzeichnen oder später dann, mittels Verstärker, um für ein Publikum von Hunderttausenden ein Konzert zu geben. Im Laufe des letzten Jahrhunderts gebar die Musik Interesse daran, immer häufiger ein sozialkritisches Wesen einzunehmen - sie emanzipierte sich von jeglichem Einfluss. Letzteres stimmt freilich nur bedingt, denn die moderne Musik ist nicht ohne Einflüsse denkbar, denn erstens wird sie gesellschaftlich beeinflusst und greift daher Themen auf, die in der Gesellschaft grassieren und, zweitens, beeinflusst und befruchtet sich die Musik, was Stil und Aufmachung betrifft, stets gegenseitig - aus Gründen des Kommerzes, was viel zu häufig Langeweile und mangelnde Qualität nach sich zieht.

Diese fünf Faktoren sind es, die einen Bob Geldof, als "politische Gestalt" erst möglich machten - sicher, er ist nur karitativer Spendensammler und dessen politisches Verständnis greift die Misere, die die westliche Welt in Afrika durch ihr wirtschaftliches wie militärisches Engagement anrichtet, nicht mal ansatzweise auf - Schuldenerlass ist seine ewige Parole, mehr schon leider nicht. Aber er ist dennoch ein einflussreicher Zeitgenosse geworden, obwohl er nicht mal ein besonders außergewöhnlicher Musiker war. Alleine der Umstand, Musiker für Millionen gewesen zu sein, verlieh ihm eine Aura, die ihn zum Botschafter musikalischer Herkunft werden ließ; man nimmt ihn seit mittlerweile einen Vierteljahrhundert als "politische Gestalt" wahr. Weil er aus der Musik kommt, konnte er Millionen von Menschen erreichen; die Musik verlieh ihm den Nimbus eines Volkstribuns.

Blannings "Triumph der Musik", dessen deutscher Untertitel "Von Bach bis Bono" recht ärgerlich ist, unterstellt er doch dem deutschen Leser, dass dieser ohne einen solchen überspitzten Untertitel nicht verstehe, was das Buch inhaltlich abliefern möchte... Blannings Buch also ist mehr als lesenwert, durchläuft es doch mit dem Leser im Schnelldurchlauf Operngebäude, Konzerthallen und Open Airs, macht ihm sicht-, und mit etwas Schmalz gesagt: hörbar, wie sich die Musik durch die Jahrhunderte lavierte, um letztlich das zu werden, was sie heute ist: ein wesentlicher Faktor im Leben des modernen Menschen, inflationäre Auswüchse, wie die Dauerberieselung im Supermarkt inklusive. Die Geschichte der Musik ist eine Triumphgeschichte, lehrt Blanning... und sein Buch ist es auch.

"Triumph der Musik. Von Bach bis Bono" von Tim Blanning erschien in der Edition Elke Heidenreich bei C.Bertelsmann.



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