Donnerstag, 15. März 2012

Frei von Gauckiaden

Quelle: Verlag Antje Kunstmann
Eines Tages flattert ein Schreiben in sein Haus, das eine Wohnung, kein Haus ist. Er, der in der DDR ein unbekannter Untergrunddichter war, solle doch bitteschön an einer Podiumsdiskussion teilnehmen. W. wusste bis dahin gar nicht, dass er Dichter war - er wusste nicht, dass er dem Untergrund angehörte in der DDR. So fordert er Akteneinsicht und tatsächlich, schwarz auf weiß, da sind Gedichte aufgeführt. Es liegt also keine Verwechslung vor, W. war wirklich gemeint, war der berechtigte Empfänger der Einladung. Er versucht sich zu erinnern; er denkt zurück in ein Leben, das er vor langer Zeit gelebt hatte und sieht sich dichten. Es sind humorvolle Gedichte, nicht ganz ernst gemeinte Versuche, die er an seine Freundin schickt, die in München, im Westen also, lebt. Das war auch der Grund, weshalb die StaSi ihrer habhaft wurde; und sein frecher Satz, den er seinem Mädchen damals zuwarf, jener nämlich, er "schlage vor, dass wir uns küssen", gab dem Buch den Titel.

Ironie der Geschichte ist, dass es ausgerechnet diese Staatssicherheit ist, die W. als Dichter konservierte. Ausgerechnet diese Behörde, die in Dichtung etwaiger Werktätiger etwas Suspektes witterte, reanimiert W. noch Jahre nach dem Fall der Behörde mitsamt dazugehörigen Staat, als Dichter. Und wie diese StaSi auswertete! Da schrieb W. seiner Freundin von seiner Begierde, schrieb, dass es ihm im Süden seines Körpers drücke - man dürfte verstehen, was mit dem Süden gemeint sein soll. Phantasie schadet da nicht - die geht aber den Offizieren der Sicherheitsbehörde ab. Sie notieren nur: Süden - Fluchtgefahr, vermutlich nach Portugal. W. taucht tiefer und tiefer in seine DDR-Geschichte ein; ein Flug durch die Achtzigerjahre der DDR, in der der Stalinismus schon lange tot war, in der es beschaulich und schauerlich zugleich zuging. Der Unrechtsstaat, von dem heute gerne gesprochen wird, ist dort nur eine Behaglichkeitsdiktatur, eine Gemütlichkeitstyrannei seniler Grauköpfe. Alles nicht sehr modern, alles nicht sehr privatim, schon wahr - aber eben auch nicht so, dass überall der Knüpel wütete. W. wird eines Tages vorgeladen zur StaSi, er wird durch ein Meer an Türen geschleust, landet auf einen Stuhl, wird kurz befragt und darf wieder gehen - lästig ist dieser bürokratische Aufwand gewesen. Aber wirklich Diktatur, so wie wir uns eine Diktatur vorstellen?

Rayk Wieland legt mit "Ich schlage vor, dass wir uns küssen" ein kurzweiliges Buch vor. Er zeichnet ein Gemälde von einer DDR, wie wir sie heute nicht kennen wollen. Wieland ist ein witziger Autor, einer, dem nichts heilig scheint - und das tut dem Buch gut. Weder ist er moralisch noch tut er besonders schlau. Ob man weite Verbreitung eines solchen Buches erwarten kann, ist daher fraglich. Heute muß es DDR-monumental sein, mit viel moralischer Belehrung und gauckianischer Freiheitshymnik, mit Besserwessirei und entnostalgisierender Tragik - wer diesen Kanon nicht beachtet, kann zwar ein famoses Werk austüffteln, wird vom Massenpublikum jedoch abgeschottet.

"Ich schlage vor, dass wir uns küssen"
erschien im Verlag Antje Kunstmann.


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