Mittwoch, 21. Dezember 2011

Autor und Figur

Quelle: Amazon
Die Frage stellt sich schon seit Jahren, seitdem Houellebecq Bücher veröffentlicht: Unter welcher Rubrik einordnen? "Karte und Gebiet" dürfte noch schwieriger zuordbar sein. Der Franzose wandelt zwischen Künstlergeschichte, Science-Fiction, Kriminalstück und Realsatire - lediglich die Erotik, die in bildhafter Ausmalung stete Begleiterin seiner Werke war, bleibt diesmal nur angedeutet. Fast einzigartig dürfte der schwarze Humor sein, mit dem Houellebecq seine Leser kitzelt. Denn der Autor tritt selbst auf - nicht als Held, wie man erwarten könnte, nach allem, was man von Houellebecq so zu wissen scheint. Er beschreibt sich selbst als eine arme Sau, ungepflegt, schon spätnachmittags, sobald es dunkel wird, ins Bett eilend - weswegen er den Sommer und dessen helle Abende hasst. Er lebt in einem fast leeren, kaum eingerichteten Haus, wandelt darin im speckigen Pyjama und hat scheinbar ein sehr krankhaftes Verhältnis zu Wurst. Klar ist, dass er säuft und Tabletten gegen Depression schluckt. Houellebecq beschreibt sich so, wie er seine Figuren stets darstellte: als der Liebe und der Gesellschaft unfähiger Krüppel, als sanften Soziopathen, die in seiner Sparte, in seinem Beruf zwar gigantische Taten vollbringt, aber über seine eigene Fachidiotie nicht hinauskommt und als Mitmensch gänzlich unbegabt ist.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Leiser Empörer

Quelle: Hanser Verlag
Empörung. So der Titel. So aber auch gegenüber der Schwedischen Akademie. Diese übergeht den Autor geflissentlich Jahr für Jahr - so lautet jedenfalls ein beliebter Vorwurf. Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Vorwurf jedoch nicht. Der Akademie deswegen Antiamerikanismus vorzuwerfen, das dürfte Unsinn sein, zumal Philip Roth keinen sehr amerikanischen Schreibstil pflegt. Was man amerikanischen Schriftstellern oft vorwirft, dass sie Handlung, Handlung, Handlung böten, dafür wenig profunde Substanz, dass sie einen stenographischen Stil, einen typischen Capotismus zelebrierten: das alles kann man auf Roth kaum anwenden. Seine Empörung allerdings, die hat amerikanische Wurzeln. Sie ist nicht polternd und lärmend; sie ist still und beschreibend und nötigt dem Leser ab, selbst Empörung zu entwickeln. Dabei erinnert er an John Steinbeck, der ebenfalls nie mit dem Finger auf etwas deutete, sondern seine Leser gleichermaßen beschreibend in die Realität holte - auf dass die sich hernach empören.

Mittwoch, 23. November 2011

Zwischen Schiller und Hitler

Quelle: Fischer Verlage
Schillers Schreibtisch sollte den Endsieg unbeschadet überstehen. So holte man ihn aus dem Weimarer Schillerhaus, lud ihn auf einen LKW und verbrachte ihn einige Kilometer weiter. Neue Anschrift des Möbelstücks: Konzentrationslager Weimar-Buchenwald. Dort sollte er nachgebaut werden. Das Duplikat landete endlich im Schillerhaus, das Orginalstück wurde bombensicher verwahrt. Schließen konnte man das Schillerhaus jedoch nicht, denn Schiller, das war für die braunen Herren der deutscheste aller deutschen Dichter. Schiller war früher Nationalsozialist, wie damals viele hakenkreuzlerische Literaturexperten schrieben. Das Schillerhaus musste als Kirche deutschen Kulturguts geöffnet bleiben - der deutsche Soldat sollte dort besinnliche Augenblicke erleben, um gestärkt an sein unheilbringendes Werk zurückkehren zu können.

Mittwoch, 9. November 2011

Sezierte Liebe



Quelle: Renneritz Verlag

Emotional verstümmelte Gestalten tummeln sich in Houellebecqs Romanen. Sich schwer in andere verliebbare, an Karrierismus nagende, vertrauenslose Seelen, die vermutlich die literarische Figur unserer Zeit abliefern. Jede Epoche bringt literarische Charaktere hervor, die sich aus der Realität greifen lassen. Sie sind dabei Stilmittel. Der Anti-Held, verunsichert und in Liebesdingen rational und wissenschaftlich herangehend, das ist der Charakter der Stunde. Houellebecq trieb ihn auf die Spitze. Matthias Grabow sublimiert ihn in seinem ersten Roman, der für seine Fülle einen viel zu blassen Titel trägt. "Hanna" heißt der und stellt das Ringen einer jungen Liebe dar, die an Realitäten stößt. Wo einst die Macht der Liebe alles unter sich begrub, Hindernisse ausräumte, da bewirkt der emotionale Krüppel nichts mehr. Lediglich zu träumen wagt er, doch sämtliche Barrieren sprengen zu können. Aber ein wirklicher Heros wird er nicht werden.

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Wider künstlicher Naturgesetze

Quelle: Amazon.de
Er ist seit vierzig Jahren Mitglied der parteilich organisierten Sozialdemokratie. Manchmal leidet er darunter, wie er selbst schreibt. In den letzten Jahren ganz besonders. In seiner Autobiographie, die er mit dem poetischen Titel "Als wir noch Götter waren im Mai" schmückte, erzählt Johano Strasser davon, wie einst in der SPD und in Deutschland das Willy-Fieber ausbrach, wie man von einer besseren, liberaleren Gesellschaft, von mehr gewagter Demokratie träumte - und er endet schließlich bei der heutigen Partei, bei dem, was sie heute tut, da sie sich dem Milieu derer zugeschlagen hat, die den Menschen als plumpen Nutzenmaximierer oder als Humankapital veranschlagen und demgemäß ihre Politik ausrichten. Hoffnung bleibt, liest man bei Strasser immer wieder - so auch in Fragen der Partei, in die er als junger Mann eintrat.

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Nicht Deutschland, sondern das Unrecht als Feind

Quelle: Suhrkamp
Französische Widerstandskämpfer und solche, die man dafür hält, stehen zusammengepfercht in einem Viehwaggon. Sie stehen Leib an Leib, richten sich nur Nischen und Lichtungen ein, wenn jemand seine Notdurft in den bereitgestellten Eimer scheißen will. Es dampft in der Enge, es stinkt, man hört Stimmegewirr und der Erzähler, er unterhält sich mit einem jungen Mann, der die Fahrt ins Ungewisse - sie geht nach Buchenwald - nicht überleben wird. Derweil der Erzähler in seine Vergangenheit und in tiefe Gedanken entführt, wird im Waggon gestorben - in Raten, manchmal aber auch cash.

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Essen und Sein

Quelle: Amazon.de
Ein sadistisches Buch. Für Fleischfreunde: ein sadistisches Buch! Es vergällt einem den Hunger. Ebenfalls ein masochistisches. Es knüppelt das Gewissen. Informativ ist es obendrauf - nicht nur für Karnisten natürlich. Jonathan Safran Foer lieferte mit "Tiere Essen" Seiten ab, die tief ins Gemüt von Fleischessern graben. Er tut das nicht moralingesäuert, nicht oberlehrerhaft. Sein Ton ist getragen, fast erschütternd zurückhaltend. Niemand soll zur Fleischlosigkeit belehrt werden, meint Foer. Raffiniert ist das von ihm schon, sich dergestalt aus der Rolle des Moralisten stehlen zu wollen. Niemand soll fleischlos werden - aber der, der es liest, der wird. Vielleicht nicht vollumfänglich, Vegetarierer muß er deshalb nicht gleich werden. Fleischkonsum ist zu sehr anerzogen, als dass man ihn mit dem Lesen eines Buches ablegen könnte. Aber man denkt nach, wenn man kaut - und wenn es der Geldbeutel hergibt, dann kauft man so, dass man mit etwas besserem Gewissen kauen kann.

Mittwoch, 28. September 2011

Eine Begründung für den Nobelpreis

Quelle: Hanser Verlag
Als Herta Müller vor zwei Jahren den Nobelpreis für Literatur zugesprochen bekam, waren kritische Stimmen nicht selten. Sicher, schreiben könne sie schon und ganz unspannend ist das, was sie da schrieb auch nicht, aber ob das wohl reiche, um mit dem Nobelpreis honoriert zu werden, fragte man skeptisch. Nun ist die "Verdichtung der Poesie", mit der Müller arbeitet und die die Schwedische Akademie in ihrer Begründung für die Preisvergabe attestierte, nicht jedermanns Geschmack. Der Preis wirkt aber berechtigt. Man greife als Beweis zu jenem Roman, den sie im Jahr ihres Nobelpreises schrieb und der in die Begründung der Akademie vermutlich nicht mehr hineinfloß. "Atemschaukel" unterstreicht Müllers Nobelpreis überdeutlich.

Montag, 4. April 2011

Die Entblätterung eines Widerständlers

Quelle: Amazon.de
Gilles Rozier läßt einen namenlosen Franzosen erzählen, was ihm und seiner Familie zu Zeiten der deutschen Besatzung widerfuhr. Seine Schwester hurt mit einem SS-Mann herum, die Mutter kümmert sich um nichts, will nichts sehen, lebt als stille Erscheinung vor sich hin - und er, ein Deutschlehrer und Liebhaber der deutschen Klassik, verbringt seine Tage relativ unpolitisch in diesen so politischen Tagen. Bis die Deutschen sich seines Bilingualismus' bemächtigen wollen und er einen schüchternen und nicht besonders motivierten Kollaborateur gibt, der recht wenig Interesse an den Übersetzungsarbeiten für die Besatzer aufbringt.

Montag, 21. März 2011

Die Hammerschläge des Reformators

Quelle: Renneritz Verlag
Normalerweise müsste man skeptisch sein, wenn jemand auf nur wenigen Seiten die Reformation und damit das Leben Luthers abbilden möchte. Eigentlich dürfte dies in relativ wenigen Worten kaum möglich sein - aber dürfte ins Konjunktiv und daher nicht zwangsläufig Tatsache. Manfred Lemmer jedenfalls gelang dies. "Schritt um Schritt in die Reformation" behandelt diese oftmals sehr trocken gehaltene Thematik spielend; zudem schrieb er unterhaltsam ohne bemüht zu wirken. Lemmer wusste - er ist bereits verstorben - sich jedoch glänzend lesenswert auszudrücken. Das ist ja nicht unbedingt üblicher Standard bei Büchern, die sich mit historischen Themen auseinandersetzen. Obwohl der Autor wissenschaftlich neutral über Martin Luther und die von ihm eingeleitete Reformation berichtet, bleibt für den Leser ein bitterer Nachgeschmack zurück. Luther, lange und immer noch häufig verklärt als fortschrittlicher Reformer und gerechter Mensch, er war beiderlei nicht.

Dienstag, 15. März 2011

Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?

Quelle: Eichborn Verlag
"In den Büchern stehen die Namen von Königen", behauptet Brecht in seinem Gedicht "Fragen eines lesenden Arbeiters" - und weiter fragt er ebendort: "Der junge Alexander eroberte Indien. / Er allein? / Cäsar schlug die Gallier. / Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?" Solchen Fragen ging Helge Hesse in seinem Buch "Unbekannte Helden der Weltgeschichte" nach und liefert teils spannende, teils unterhaltsame Antworten. So wird man durch die Weltgeschichte geschleift, ohne die ganz großen Namen zu behandeln. Der Leser macht sich mit diesen unscheinbaren Gestalten gemein, die natürlich nicht immer Helden im Sinne dessen sind, was wir heute als heldenhaft meinen. Manche morderten oder ließen morden - aber ohne sie wäre die Geschichte, wie wir sie heute kennen, etwas oder vielleicht sogar ganz anders verlaufen.

Sonntag, 13. März 2011

Wir sind alle Sternenstaub

Quelle: Blanvalet Verla
"... Zurück im Zelt, zog ich ein frisches Hemd an und prüfte in meiner Reisetasche, ob ich alles benötigte Material dabei hatte.
Keiras Anhänger hatte uns ein Stück des Himmels enthüllt, das jedoch nicht mit dem unserer Zeit übereinstimme. Ich musste wissen, wo genau er von seinem letzten Benutzer zurückgelassen worden war. Das Sternenzelt, das man in klaren Nächten beobachten kann, ändert sich von Tag zu Tag. Im März sieht der Himmel nicht so aus wie im Oktober. Mit Hilfe einer Reihe von Berechnungen würde ich vielleicht herausfinden, zu welcher Jahreszeit vor vierhhundert Millionen Jahren man den Himmel festgehalten hatte."

"Am ersten Tag" ist der erste von zwei spannenden Liebesromanen des französischen Schriftstellers Marc Levy (der zweite Teil nennt sich "Die erste Nacht"). In seinem Zweiteiler erzählt er, wie immer packend, die Geschichte des Astrophysikers Adrian und der Archäologin Keira. Ein Abenteuer, dass den Leser quer über die Welt zieht. Vom Omo-Tal in Äthiopien über Frankfurt, Großbritannien bis nach Schottland. Und wie sollte es bei Levy anders sein, kennen sich die Hauptprotagonisten bereits über Jahre hinweg, verloren sich allerdings aus den Augen.

Freitag, 11. März 2011

Vom Sklaven zum Volkstribun

Bildquelle: Amazon.de
"Eine Übung in Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte" nennt der Autor sein Kind selbst. Das trifft nur halbwegs zu, denn das 2008 erschienene Buch "The Triumph of Music" ist mehr als Übung, gleichwohl es zwischen Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte umherhangelt. Es gelingt Tim Blanning, Professor in Cambridge, erstaunlich spielerisch, die Geschichte der abendländischen Musik zu skizzieren, sie in den Kontext und die Wechselwirkungen ihrer Zeit zu ordnen. Und was lobend hervorgehoben werden muß: man muß kein Musikus sein, um die geschichtliche Aufarbeitung der Musik zu begreifen. Man vernimmt die historisch-musikalischen Töne des Historikers auch ohne Noten lesen zu können. Virtuos wirft er mit politischen Fakten, Musikerbiographien und kunsthistorischen Einblicken um sich, vereint sie dergestalt, dass sie wie aus einem Guss lesbar werden. Wo andere Abhandlungen zur Geschichte der Musik im Soziolekt Musizierender verenden und außerdem an schreiberischer Unzulänglichkeit leiden, wo andernbuchs Langeweile und Unverständlichkeit zum Marsch blasen, da trumpft Blannings "Triumph der Musik" mit Verständlichkeit und Unterhaltsamkeit auf.

Donnerstag, 10. März 2011

Ein kurzes Geleitwort

"Wer sich viel an Büchern tut, der hat was zu erzählen", sagt der Volksmund nicht; er beschränkt es auf das Reisen. Dennoch, wer viel liest, der weiß auch zu berichten. Und derlei Berichte sollen hier ihren Niederschlag finden. Bücher aller Art, die mir in die Finger geraten, werden in Rezension gepackt. Das geschieht allerdings in unregelmäßigen Abständen, je nach Lust und Laune.

Mittwoch, 9. März 2011

Impressum

Angaben gemäß § 5 TMG

Roberto J. De Lapuente

Von-Kronberg-Straße 1

64646 Heppenheim

Kontakt:

e-Mail: robjoa @ yahoo.de