Mittwoch, 1. Februar 2012

Plädoyer auf zerrissene Lebensläufe

Quelle: Ama
Sein Leben vom Standpunkt des Scheiterns aus zu erklären: das wagt nicht jeder. In einer Periode, da selbst Minderjährige, die von Konzernen zu Pop-Ikonen ausersehen werden, mit einer nur so von Erfolgen strotzenden Biographie aufwarten, wirkt der Biograph des eigenen Scheiterns, wie ein bemitleidenswerter Verlierer. Lebensgeschichten haben ein Getümmel von großartigen Erfolgen, von unglaublichen Durchbrüchen, von einzigartigen Triumphen und feiernswerten Volltreffern zu sein. Wer wagt sein Leben als Ballung von Fehlschlägen, Irrtümern und Verunglückungen nachzumalen? Dazu bedarf es Mut - oder Naivität, was vielleicht auf dasselbe hinausläuft. Jedenfalls, es war Konstantin Wecker, der seine Lebensgeschichte als "Kunst des Scheiterns" schrieb.

Der Untertitel seines Buches könnte von Beckett stammen - "Tausend unmögliche Wege, das Glück zu finden". Die Unmöglichkeit des Glückes, die aber dennoch in Glück mündet. Paradoxien des Lebens. Verwinkelungen, wie sie in aalglatten Biographien, in Lebensläufen für Personalchefs oder Viten für Buchrücken oder Webpräsenzen nicht vorgesehen sind. Alles gehört in ein zu Blatt gebrachtes Leben - nur keine Abbiegungen, keine Sackgassen, keine weißen Flecken, Hic-sunt-dracones-Flecken, keine eigentümlichen Irrtümlichkeiten. Passend hierzu läutet Wecker mit Beckett ein: "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Das sind freilich Weisheiten, die man erst erzielt, wenn man kein zu lauschiges Leben führte. Gleichzeitig wären sie Weggeber für eine Jugend, die heute gelehrt bekommt, möglichst konform zu sein, möglichst perfekt, sich allzeit blendend zu verkaufen. Stehen sie dann vor Brüchen im Lebenslauf, tun sich Krisen auf, dann erliegen sie dem Glauben, nun mit einem Makel behaftet zu sein, einer Sünde an der meisterhaft tadellosen Eigendarstellung.

Konstantin Wecker verschweigt in "Die Kunst des Scheiterns" sicher nicht seine Erfolge. Aber sie sind nicht einfach hier, wie in manchen Populär-Biographien, sind nicht einfach zugefallen oder erarbeitet, sondern durch das Scheitern begründet. Trial and error - so kann Glück und Erfolg auch erzwungen werden. Wecker war Dieb, war Vagabund, war Luftikus, Sexschauspieler und Kokser. Fehlgriffe in seiner Vita, die ihm nicht schaden, ganz im Gegenteil, sie zeigen ihn als Menschen, als einen durch die Geschichte irrenden Zeitgenossen - durch seine Lebenszeit zu irren, das gilt heute als Übertretung der Konvention, man muß heute wissen, was man will, zielstrebig sein, handeln, Lebenslauflücken nicht nur ausfüllen, sondern sinnvoll ausfüllen, sie mit wertschöpfenden Tätigkeiten ausfüllen. Wecker schönt nichts. Überhaupt schreibt er poetisch, sehr verträumt - wie man ihn kennt, den Rinnsteinpoeten, für den er sich selbst hält. Er schreibt in seinem Buch an einer Stelle, dass er manchmal resigniert und wütend wird, weil die Jugend heute seine Aufrührigkeit nicht begreift; gegen wen sollen sie revoltieren, fragen sie ihn bei Veranstaltungen hin und wieder. Er gibt in seinem Buch eine eindeutige Antwort: gegen den überkandidelt wichtigtuerischen Lebenslauf, gegen die Diktatur der perfekten Vita, die schon kleine Ausbrüche gnadenlos abstraft und als Zeichen persönlicher Schwäche ansieht.

"Die Kunst des Scheiterns" von Konstantin Wecker erschien im Piper Verlag.


1 Kommentar:

  1. Macht Mut. Vielen Dank. Scheitern als Kultur eröffnet Horizonte und entblösst Karriereoptik als Illusionsmalerei.

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