Mittwoch, 21. Dezember 2011

Autor und Figur

Quelle: Amazon
Die Frage stellt sich schon seit Jahren, seitdem Houellebecq Bücher veröffentlicht: Unter welcher Rubrik einordnen? "Karte und Gebiet" dürfte noch schwieriger zuordbar sein. Der Franzose wandelt zwischen Künstlergeschichte, Science-Fiction, Kriminalstück und Realsatire - lediglich die Erotik, die in bildhafter Ausmalung stete Begleiterin seiner Werke war, bleibt diesmal nur angedeutet. Fast einzigartig dürfte der schwarze Humor sein, mit dem Houellebecq seine Leser kitzelt. Denn der Autor tritt selbst auf - nicht als Held, wie man erwarten könnte, nach allem, was man von Houellebecq so zu wissen scheint. Er beschreibt sich selbst als eine arme Sau, ungepflegt, schon spätnachmittags, sobald es dunkel wird, ins Bett eilend - weswegen er den Sommer und dessen helle Abende hasst. Er lebt in einem fast leeren, kaum eingerichteten Haus, wandelt darin im speckigen Pyjama und hat scheinbar ein sehr krankhaftes Verhältnis zu Wurst. Klar ist, dass er säuft und Tabletten gegen Depression schluckt. Houellebecq beschreibt sich so, wie er seine Figuren stets darstellte: als der Liebe und der Gesellschaft unfähiger Krüppel, als sanften Soziopathen, die in seiner Sparte, in seinem Beruf zwar gigantische Taten vollbringt, aber über seine eigene Fachidiotie nicht hinauskommt und als Mitmensch gänzlich unbegabt ist.

Aber Houellebecq ist nicht die Hauptgestalt des Buches. Das ist Jed Martin, ein mittelmäßiger Künstler, der sich nach enttäuschter Liebe, doch mittelmäßig absetzbaren ersten erworbenen Sporen im Kunstbetrieb, zurückzieht in die Malerei und erst nach Jahren sein Werk publik macht. Mit Erfolg, weil er den Zeitgeist trifft, eine Melange aus Pop und Malerei stemmt und so zum Künstler für die Ewigkeit gereicht. Plötzlich Millionär ändert sich sein Leben zwar, aber nicht dorthin, wo arme Schlucker glauben, dass sich Lebensentwürfe, sind sie erstmal zu Geld gekommen, hinentwickeln. Martin freundet sich mit Houellebecq an, der für seinen Vernissage-Katalog ein lesenswertes Vorwort schrieb und der damit nicht unwesentlich an Martins Erfolg schuld ist. Das Verhältnis zwischen den beiden wird jäh unterbrochen, nachdem der fiktive Houellebecq bestialisch ermordet wird - auch hier spielt der Autor eloquent mit seinen Kritikern und zeigt auf, dass er vielleicht kauzig sein mag, aber nicht nicht humorvoll, wie es immer heißt. Wie er sich seinen Tod, seine Beerdigung, die Trauergemeinde vorstellt, das wäre aber durchaus ein Fall für einen Psychoanalytiker...

Nach seinem epochalen Sittengemälde "Ausweitung der Kampfzone" und guten, allerdings nie an die Klasse der "Kampfzone" heranreichenden Romanen, liefert Houellebecq einen Meilenstein moderner Literatur. Er spielt darin mit den Klischees, die über ihn durch die Presse geistern, nimmt Personen des öffentlichen Lebens aufs Korn, schreibt aber drumherum einen Roman von fulminanter Tiefe. Letztlich bietet er einen Ausflug in den Kriminalroman - und am Ende wird daraus, ganz nach dem Gusto des Autors, eine Geschichte, die in unserer Zukunft spielt. Houellebecq hat mit "Karte und Gebiet" mit einem Meisterwerk zurückgemeldet. Erzählerisch und inhaltlich stark - makaber und realistisch, freilich auch traurig und hoffnungslos. Denn die ist es, die Hoffnungslosigkeit, die durch alle seine Bücher weht.

"Karte und Gebiet" von Michel Houellebecq erschien im DuMont Buchverlag.


2 Kommentare:

  1. Klingt gut! Habe (leider) schon ewig nix mehr von ihm gelesen....

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  2. Houellebecq ist eigentlich immer gut zu lesen. Auch seine schwächeren Bücher sind immer noch stärker, als die stärkeren Bücher von schwächeren Autoren.

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