Montag, 4. April 2011

Die Entblätterung eines Widerständlers

Quelle: Amazon.de
Gilles Rozier läßt einen namenlosen Franzosen erzählen, was ihm und seiner Familie zu Zeiten der deutschen Besatzung widerfuhr. Seine Schwester hurt mit einem SS-Mann herum, die Mutter kümmert sich um nichts, will nichts sehen, lebt als stille Erscheinung vor sich hin - und er, ein Deutschlehrer und Liebhaber der deutschen Klassik, verbringt seine Tage relativ unpolitisch in diesen so politischen Tagen. Bis die Deutschen sich seines Bilingualismus' bemächtigen wollen und er einen schüchternen und nicht besonders motivierten Kollaborateur gibt, der recht wenig Interesse an den Übersetzungsarbeiten für die Besatzer aufbringt.

Eines Tages bietet sich für den namenlosen Erzähler die Möglichkeit, einen Juden zu retten. Er nimmt ihn mit zu sich, quartiert ihn in einer verborgenen Nische seines Kellers ein und sorgt sich täglich um sein Wohlergehen. Irgendwann ist der Erzähler am Ziel: der jüdische Mann, für den er vom ersten Augenblick an schwärmte, penetriert ihn jeden Abend, da er ihn in seinem engen Versteck aufsuchte. Der Erzähler macht dem Leser dabei deutlich, dass er diesen Juden nur versteckt, weil er sich davon sexuelle Bezahlung erhofft - und später, wenn die Besatzung vorüber sei, so merkt er außerdem an, würde seine Kollaboration mit den Deutschen entschuldigt werden. Wenn er ein ausgehungertes, lichtscheues Menschenbündel aus seinem Keller holte, so glaubt er, und dieses als geretteten Juden präsentierte, so würde ihm Vergebung widerfahren.

Roziers Protagonist ist eine traurige Gestalt. Ein verstockter Schwuler, der seinen Schützling in ersten Linie als Sexualobjekt begutachtet - in zweiter Instanz ist er seine Rückversicherung, sollte eine Siegerjustiz dazu übergehen, die Helferlinge der Nationalsozialisten bestrafen zu wollen. Der Jude im Keller ist der mildernde Umstand, den sich der Erzähler erhofft. Rozier entblättert den Heldenmut, der nach dem Kriege oftmals zum heroischen Kraftakt verbrämt wurde. Dabei bedient sich Rozier einer bilderreichen Sprache; die Passagen, in denen er die sexuelle Begierde beider Männer ausmalt, sind von einer selten gebrauchten Bildhaftigkeit. Dem Leser wird in diesen Augenblicken gewahr, dass hier nicht die Leidenschaft zweier Liebender wütet, sondern eine Zweckverbindung entstand. Besonderes Lob gilt hierbei der Übersetzerin Claudia Steinitz.

"Eine Liebe ohne Widerstand" von Gilles Rozier erschien im btb Verlag.


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